Elektronendynamik in Raum und Zeit
Ein Team rund um JARA-FIT Mitglied Prof. Stefan Tautz hat gemeinsam mit Kolleg*innen aus Marburg und Graz Elektronenorbitalbilder mit extrem hoher Zeitauflösung aufgenommen, um Elektronen in einer chemischen Reaktion in Zeit und Raum zu verfolgen. Die Untersuchungen des internationalen Forscherteams tragen nicht nur zum grundlegenden Verständnis von chemischen Reaktionen und Elektronentransferprozessen bei, sondern eröffnen perspektivische Möglichkeiten für die Optimierung von Grenzflächen und Nanostrukturen. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht.
"Seit Jahrzehnten gibt es in der Chemie zwei weitreichende Ziele", erklärt Professor Stefan Tautz, Leiter des Instituts für Quantum Nanoscience am Forschungszentrum Jülich, "einerseits chemische Reaktionen direkt aus der räumlichen Verteilung von Elektronen in Molekülen zu verstehen, andererseits die Dynamik von Elektronen während einer chemischen Reaktion in der Zeit zu verfolgen." Beide Ziele wurden, getrennt voneinander, in bahnbrechenden Entdeckungen der Chemie bereits erreicht: Die Theorie der Grenzorbitale gab Aufschluss über die Rolle der Elektronenverteilung in Molekülen bei chemischen Reaktionen, während die Femtosekundenspektroskopie erstmals die Beobachtung von Übergangszuständen in den Reaktionen möglich machte. "Es ist schon seit langem ein Traum der Physikalischen Chemie, diese beiden Entwicklungen miteinander zu verknüpfen, und so die Elektronen in einer chemischen Reaktion in Zeit und Raum genau zu verfolgen."
Die Wissenschaftler verfolgten die Orbital-Tomogramme mit ultrahoher Auflösung durch die Zeit. Die Elektronen in den Molekülen wurden dafür mit Femtosekunden-Laserpulsen in ein anderes Orbital angeregt.
Diesem Ziel sind die Wissenschaftler nun einen großen Schritt näher gekommen, indem sie Elektronen beim Transfer durch eine Grenzfläche zwischen einer Molekülschicht und einem Metall in Raum und Zeit beobachtet haben. Solche Grenzflächen werden im Sonderforschungsbereich 1083 der Deutschen Forschungsgemeinschaft an der Universität Marburg erforscht, in dessen Rahmen auch die heute veröffentlichten Experimente durchgeführt wurden. "Grenzflächen scheinen zunächst nichts weiter als das Nebeneinander zweier Schichten – doch sie sind der Ort, an dem sich die Funktionen der Materialien überhaupt erst manifestieren. Ihnen kommt deshalb eine überragende technologische Bedeutung zu", erklärt Ulrich Höfer, Professor für Experimentalphysik an der Philipps-Universität Marburg und Sprecher des Sonderforschungsbereichs. In organischen Solarzellen etwa erreicht man durch die Kombination verschiedener Materialien an einer Grenzfläche, dass die durch das eingestrahlte Licht angeregten Zustände besser aufgespalten werden und somit Strom fließt. Auch in den organischen Leuchtdioden sogenannter OLED-Displays, wie sie etwa in Smartphones verwendet werden, spielen Grenzflächen eine wichtige Rolle.
Weitere Informationen zu den Ergebnissen und dem zugrunde liegenden Verfahren stehen auf der Website des Forschungszentrums Jülich zur Verfügung.
Die Originalveröffentlichung ist auf der Website der Fachzeitschrift Science abrufbar: https://science.sciencemag.org/content/early/2021/02/17/science.abf3286