Flüssiges Lesen lässt sich trainieren
Studien zeigen: Etwa 17 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden mehr oder weniger stark unter einer Leseschwäche (Foto: pitopia/Markus Mainka).
Kinder mit Leseschwäche profitieren von gezielten Trainingsmaßnahmen. Ihre Hirnaktivität nimmt im sogenannten „visuellen Wortformareal“ zu. Dies ist das Ergebnis einer Studie, die der JARA-BRAIN Wissenschaftler Prof. Dr. Stefan Heim und sein Team mit Grundschülern durchführte. Die Ergebnisse wurden unlängst im Fachmagazin Brain Structure & Function veröffentlicht. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte das Forschungsvorhaben „Specific vs. unspecific training effects on brain and performance in cognitive subtypes of developmental dyslexia“ mit 500.000 Euro. Und dies aus gutem Grund: Etwa 17 Prozent aller Kinder und Jugendlichen leiden mehr oder weniger stark unter einer Leseschwäche.
Dyslexie kann verschiedene Ursachen haben
Auch wenn das Symptom der langsamen und unkorrekten Wiedergabe von Wörtern und Sinninhalt sie eint - die Dyslexie gibt es nicht. Wie Prof. Stefan Heim, der an der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Uniklinik RWTH Aachen und am Forschungszentrum Jülich tätig ist, gemeinsam mit seiner Kollegin Dr. Marion Grande bereits in früheren Arbeiten nachgewiesen hatte, existieren unterschiedliche Subtypen. „Kinder können aus ganz verschiedenen Gründen schlechte Leser sein“, erläutert der Neuropsychologe. „Einige Kinder haben Probleme, Buchstaben und Sprachlaute zusammenzubringen, andere sind schlichtweg unkonzentriert, während bei wieder anderen die Schrift verschoben ist oder zu tanzen scheint und aus diesem Grund der Text nicht erkannt wird.“
700 Grundschulkinder der Städteregion Aachen absolvierten einen Lesetest
Im Rahmen der aktuellen Forschungsstudie planten und organisierten Stefan Heim und Marion Grande nun bei über 700 neun- und zehnjährigen Kindern in der Städteregion
Aachen einen Lesetest. Aus dieser Gruppe wurden im Anschluss 60 dyslektische und 15 normal gut lesende Grundschüler für das Forschungsprojekt ausgewählt. Die Kinder absolvierten einen ausführlichen Eingangstest, bei dem sowohl ihre phonologischen Fähigkeiten, ihre Aufmerksamkeit und Lesefähigkeit als auch die Hirnaktivität bei Worterkennungsaufgaben im Magnetresonanztomographen analysiert wurden.
Intensivtrainings zur Phonologie, Aufmerksamkeit und zum visuellen Wiedererkennen von Buchstabengruppen
In den darauffolgenden vier Wochen fand an fünf Tagen für jedes Kind ein halbstündiges Intensivtraining statt: Ein Drittel der Kinder erhielt eine phonologische Schwerpunktförderung, ein weiteres Drittel wurde in Übungen zur Aufmerksamkeit geschult. Das letzte Drittel praktizierte ein bestimmtes Lesetraining, bei dem das visuelle Wiedererkennen von Buchstabengruppen im Mittelpunkt stand („Blitzschnelle Worterkennung“ von Dr. Andreas Mayer).
Im Abschlusstest wurden die gleichen Kriterien wie beim Eingangstest überprüft. Das Ergebnis: „Alle Kinder, egal welchen Defizittyps, profitierten signifikant von den Trainings“, berichtet Stefan Heim. Diese Erkenntnis spiegelte sich auch in den fMRT-Untersuchungen wider. Hier zeigte sich, dass die Hirnaktivität bei den dyslektischen Kindern im visuellen Wortformareal (VWFA) größer als vor dem Intensivtraining war. Alle Trainings fördern also die Verarbeitung in dem Teil des Gehirns, der geschriebene Worte erfasst und verarbeitet.
Benötigen unterschiedliche Dyslexie-Subtypen unterschiedliche Trainingsprogramme?
Die Forschungsstudie und ihre Resultate machen Mut: „Üben lohnt sich. Es ist grundsätzlich möglich, das Defizit zu kompensieren“, fasst Stefan Heim zusammen. In weiteren Forschungsstudien gilt es nun zu überprüfen, ob gezielte Formen der Förderung für die unterschiedlichen Dyslexie-Subtypen sinnvoll sein könnten. Zwar erscheint in Deutschland dieser Tage eine neue S3-Leitlinie. Doch die S3-Leitlinien müssen sich auf randomisierte, kontrollierte Studien stützen. „Diese kommen meist aus dem englischen Sprachraum, in dem vor allem phonologisch gearbeitet wird“, berichtet der JARA-BRAIN Wissenschaftler. Überzeugungsarbeit ist also notwendig, damit das Bewusstsein für die unterschiedlichen Dyslexie-Subtypen und der damit einhergehenden spezifischen Defizite bei den Therapeuten geschärft wird.
Zur Publikation