Eulen nehmen die Umwelt ähnlich wahr wie Primaten
Der Mensch hat in seiner Geschichte viele Stadien durchlaufen, bis er das komplexe Lebewesen wurde, das er ist. Dies wissen wir spätestens seit Darwins Evolutionstheorie. Dass jedoch einige heutige Lebewesen, die normalerweise nicht in einem engen Verwandtschaftsverhältnis zum Menschen gesehen werden, Eigenschaften mit uns teilen, erstaunt immer wieder. So hat ein Team aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Israel Institute of Technology (Technion) und der RWTH Aachen University jüngst herausgefunden, dass die Wahrnehmung von Schleiereulen gewisse Ähnlichkeiten mit der Wahrnehmung und Informationsverarbeitung von Primaten hat. Prof. Hermann Wagner, Mitglied von JARA-BRAIN und Leiter des Lehrstuhls und Instituts für Biologie II (Zoologie) an der RWTH Aachen, war maßgeblich an der Studie beteiligt.
Auf den ersten Blick ist die visuelle Wahrnehmung von Menschen beziehungsweise Primaten deutlich anders, als die von Eulen. Während Mensch und Primat aus beweglichen Augen ihre Umgebung sehen, müssen Eulen den ganzen Kopf drehen, um ihre Umgebung wahrzunehmen, da ihre Augen starr sind. Doch schaut man hinter diese offensichtlichen Unterschiede, sind Gemeinsamkeiten in der Verarbeitung der visuellen Reize zu entdecken.
In einer Studie untersuchte ein internationales Forscherteam wie visuelle Reize im Eulenhirn verarbeitet werden. Erstaunliches Ergebnis der Untersuchungen: obwohl Schleiereulen im Vergleich zu Primaten und Menschen über ein weniger gut entwickeltes Gehirn verfügen, sind sie ebenfalls in der Lage mehrere Objekte zu einem Hintergrund oder Szenerie zusammenzufassen. Dies befähigt Schleiereulen dazu, Objekte von ihrem Hintergrund zu unterscheiden und zielgerichtet zu jagen. Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass zu einer solchen Leistung komplexe Gehirnstrukturen nötig sind.
Um die Verarbeitung von visuellen Reizen bei den Raubvögeln zu testen, statten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Eulen mit Kameras aus. So vorbereitet wurden den Vögeln auf einem Bildschirm schwarze bewegliche Punkte auf grauem Hintergrund gezeigt. Das Forscherteam maß die Zeit, die verging, bis die Tiere ihren Kopf in eine Richtung und sich ebenfalls in die Richtung eines Zielpunktes bewegten. Neben der Kamera, die auf den Köpfen der tierischen Probanden befestigt waren, zeichneten die Forscherinnen und Forscher auch die Aktivitäten im optischen Tektum auf. Das optische Tektum ist eine grundlegende Hirnregion, die für die Verarbeitung von visuellen Wahrnehmungen zuständig ist. Sie fanden heraus, dass diese Hirnregion je nach Bewegungsrichtung der Punkte eine höhere Aktivität aufwies.
Die Studie hat bewiesen, dass auch einfache Gehirnstrukturen komplexe Aufgaben übernehmen können. Wie sich diese Fähigkeit genau entwickeln konnte, müssen weitere Untersuchungen zeigen.
Die Studienergebnisse wurden im "The Journal of Neuroscience" Band 38, Ausgabe 30 veröffentlicht. Weitere Informationen in der Originalveröffentlichung.