Maßgeschneiderte hohle Polyelektrolyt-Mikrogele
Ganz im Gegensatz zu frühgeschichtlichen Epochen, die – wie etwa die Eisenzeit – einem einzigen Material gewidmet sind, stehen in der Moderne unterschiedlichste Materialien und Strukturen für Technologie, Innovation und Wissenschaft zur Verfügung. Besonderes Potenzial haben dabei die Vertreter der Weichen Materie. So sind Mikrogele mit ihrer vernetzten Polymer Struktur interessant für verschiedenste Anwendungen. Ein internationales wissenschaftliches Team hat nun hohle Polyelektrolyte-Mikrogele näher untersucht. Im Zentrum der Studie standen vor allem die Auswirkungen von pH-Wert, Temperatur und Ionenstärke auf die Größe des Hohlraums, um zu erfahren, wie sich diese Mikrogele maßschneidern lassen. Die Ergebnisse wurden jüngst in der Fachzeitschrift Macromolecular Rapid Communications veröffentlicht.
Jedes Material hat besondere Eigenschaften, die es für spezifische Einsatzgebiete prädestinieren. Um das passende Material für die jeweilige Anwendung zu finden, ist es jedoch essentiell die Materialeigenschaften genau zu kennen. Für die Entwicklung intelligenter Materialien eignen sich beispielsweise hohle Mikrogele. Im Inneren haben diese Polymernetzwerke einen lösungsmittelgefüllten Hohlraum, der sie besonders weich und flexibel macht. Darüber hinaus reagieren sie schnell auf äußere Reize. Jedoch ist der genaue Zusammenhang zwischen Reiz und Reaktion noch nicht komplett untersucht.
Das internationale Forscherteam rund um JARA-SOFT Direktor Prof. Walter Richtering, Inhaber des Lehrstuhls für Physikalische Chemie II und Institut für Physikalische Chemie, befasste sich in ihrer Studie mit der Frage, wie genau äußere Reize die Größe des gefüllten Hohlraums der Mikrogele beeinflussen. Im Fokus standen dabei der pH-Wert, die Temperatur und die Ionenstärke der Umgebung. Untersuchungsgegenstand waren hohle Mikrogele mit ionisierbaren Anteilen auf der Basis des Copolymers PNIPAM (Poly-N-Isopropylacrylamid).
Die Wissenschaftler* beobachteten, dass die Mikrogele bei höheren Temperaturen und der Zugabe von Salz, aggregierten und an Größe verloren. Darüber hinaus veränderte sich bei der Änderung der Ionenstärke die Oberfläche des Mikrogels. Die Außenhülle wurde ebener, während die raue Oberfläche des Hohlraums dicker wurde. Zudem nahm der osmotische Druck im gesamten Mikrogel ab. In ihrer Analyse zeigte sich den Wissenschaftlern, dass der Grund für die Veränderungen in den Polymerketten in der Nähe des Hohlraums zu finden ist. Die Ketten wurden dehnbarer und der Hohlraum schrumpfte. Demgegenüber fielen die Molekülketten an der Außenhülle zusammen und bewirkten eine homogenere Struktur der Oberfläche.
Mit Hilfe der Boltzmann-Theorie berechneten die Forscher die Mikroionenverteilung, um das Phänomen erklären zu können. Sie fanden heraus, dass sich mit der Erhöhung der Ionenstärke und der Verringerung der lokalen Debye-Länge die geladenen Polymere eine schwächere Abstoßung von den benachbarten Polymeren erfuhren, da die Längenskala der Ladungswechselwirkung mit den Längenskalen des Mikrogels - Maschenweite und Hohlraum - übereinstimmt.
Die Ergebnisse der Studie, die im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 985 „Funktionelle Mikrogele und Mikrogelsysteme“ stattgefunden hat, verhelfen der Wissenschaft zu einem besseren Verständnis des komplexen Zusammenspiels des polymeren Aufbaus und der elektrostatischen Wechselwirkung.
Mikrogele, ob kugelförmig und geladen oder neutral und hohl, werden in verschiedensten modernen Technologien eingesetzt. Beispielsweise sind Mikrogele in Membranen, Biosensoren oder in Stoffaustauschprozessen nützlich. Die in der Studie untersuchte Mikrogelvariante hat Potenzial zur Verbesserung dieser Anwendungen. Beispielsweise könnten sie durch ihre hohle Struktur Stoffaustauschprozesse bereichern, da sie Gastmoleküle aufnehmen und abgeben können. Durch äußere Reize kann die Aufnahme beziehungsweise Abgabe angeregt werden.
Bevor anionische hohle Mikrogele tatsächlich in die Anwendung gelangen, bedarf es jedoch weiterer Untersuchungen. So ist die Reaktion der Mikrogele an flüssig-zu-flüssig Grenzflächen oder in überfüllten Umgebungen noch ungeklärt. Auch die Auswirkungen von elektrostatischen Wechselwirkungen auf die Weichheit der Mikrogele beziehungsweise umgekehrt, die Auswirkungen der Weichheit auf das Phasenverhalten der Mikrogele müssen in weiteren Arbeiten näher analysiert werden.
Weitere Informationen auf der Website des Lehrstuhls für Physikalische Chemie II und Institut für Physikalische Chemie.
Die Originalveröffentlichung steht auf der Website der Fachzeitschrift Macromolecular Rapid Communications zur Verfügung.
* Verweis: „Alle in diesem Dokument verwendeten Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen. Auf eine Nennung verschiedener Varianten der Bezeichnungen wird allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet.“