Auf der Jagd nach den mysteriösen Neutrinos
DFG fördert deutsch-chinesische Kooperation unter Führung der RWTH
Wolfgang Pauli postulierte 1930 die Existenz damals noch unbekannter Elementarteilchen, um das scheinbare verschwinden von Energie aus radioaktiven Zerfällen zu erklären. Doch einige Jahre später bereute er seinen Vorstoß mit den Worten “I have done a terrible thing. I have postulated a particle that cannot be detected” (Ich habe etwas Furchtbares getan. Ich habe ein Teilchen postuliert, dass man gar nicht nachweisen kann.) Er hat nicht ganz Recht behalten. Es ist Physikern mittlerweile gelungen, die Existenz der Neutrinos zweifelsfrei nachzuweisen, doch die Experimente sind sehr schwierig. Neutrinos durchdringen Materie nahezu ohne jegliche Wechselwirkung. Selbst die Erde durchdringen sie nahezu ungehindert, was ihnen den Beinamen „Poltergeist“ bescherte. Aber ohne Wechselwirkung kann man ein Teilchen auch nicht nachweisen. Um eine Chance zu haben, braucht man riesige Detektoren und intensivste Neutrinoquellen.
Die DFG hat nun eine Forschergruppe genehmigt, die sich am Aufbau eines neuen Neutrinodetektors im Süden Chinas beteiligen wird. Unter dem Dach der Forschergruppe werden die TU München, die Universitäten Tübingen, Mainz und Hamburg, die RWTH und das Forschungszentrums Jülich gemeinsam zum Aufbau des JUNO Detektors beitragen. Einer der zentralen Beiträge der Forschergruppe wird von JARA-FAME kommen. Die RWTH Gruppe von Professor Stahl entwickelt gemeinsam mit dem Jülicher ZEA-2 unter der Leitung von Prof. van Waasen neue Konzepte, um der Datenflut, die der Detektor erzeugen wird, Herr zu werden. Schlüssel des Konzeptes ist ein System verteilter Intelligenz, das elektrischen Signale unmittelbar dort, wo sie entstehen, digitalisiert und die Daten auf die wesentlichen Informationen reduziert. „Obwohl die Entwicklung von einem Experiment der reinen Grundlagenforschung getrieben wird, wird sie vielfältige Anwendungen in anderen Bereichen haben“, sagt Stefan van Waasen, „die ersten Interessenten haben sich bereits angemeldet.“ Seit Anfang November werden die Aktivitäten von Prof. Livia Ludhova mitgetragen, die JARA-FAME unterstützt vom Strategiefond der RWTH und der Rekrutierungsinitiative der HGF zur Stärkung der JUNO Aktivitäten nach Jülich holen konnte.
JUNO steht für Jiangmen Underground Neutrino Observatory. Es ist ein riesiger, unterirdischer Tank gefüllt mit 20.000 Tonnen eines speziell dotierten Öls, das ein wenig Licht erzeugt, falls ein Neutrino doch einmal im Tank wechselwirkt. Etwa 18.000 höchst empfindliche Fotosensoren – sogenannte Photomultiplier – beobachten kontinuierlich den Tank. Jeder von ihnen ist in der Lage, einzelne Photonen – die Quanten des Lichtes – nachzuweisen. Der Detektor wird in einem Berg, 700 Meter unter der Oberfläche aufgebaut, um den Tank vor dem störenden Einfluss kosmischer Strahlung zu schützen. JUNO wird Neutrinos aus unterschiedlichen Quellen nachweisen. Der Detektor wird Neutrinos aus mehreren 55km entfernten Kernreaktoren nachweisen, die Aufschluss über die Massen der Neutrinozustände geben werden und Neutrinos aus der Sonne detektieren, mit denen wir das Verständnis der Energieerzeugung in der Sonne vertiefen können, Neutrino aus dem Inneren der Erde geben uns Auskunft über den Aufbau des Erdinneren, explodierende Sterne stoßen gewaltige Neutrinopulse aus und die noch unbekannte dunkle Materie könnte in Neutrinos zerfallen.
JUNO ist eine internationale Kooperation von rund 500 Wissenschaftlern und Ingenieuren, etwa die Hälfte chinesischen Ursprungs. Eine Besonderheit dieser Kooperation ist, dass hier Gruppen sowohl aus der Volksrepublik also auch aus Taiwan gemeinsam arbeiten. „Wenn ich Nachrichten über das politische so schwierige Verhältnis zwischen den beiden chinesischen Staaten lese, stimmt es mich hoffnungsvoll zu sehen, wie unkompliziert die Zusammenarbeit in der Wissenschaft funktioniert“ sagt RWTH-Professor Achim Stahl, der Sprecher der JUNO Forschergruppe. Kann hier die Wissenschaft einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten, ähnlich wie sie es zu Zeiten des kalten Krieges durch vielfältige Kontakte zwischen den beiden deutschen Staaten getan hat?