Gusseisen in der Windenergie
Metalle wie zum Beispiel Stahl und Eisen stehen für ihre besondere Festigkeit. In ihrer Stabilität sind auch die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten begründet. Jedoch hat jede Anwendung ihre ganz eigenen Anforderungen an das Material. Beispielsweise müssen Werkstoffe für Rotorblätter von Windturbinen andere Eigenschaften erfüllen, als die Materialien für Hochspannungsmasten. Das Institut für Werkstoffanwendungen im Maschinenbau der RWTH Aachen University, unter der Leitung von JARA-ENERGY Mitglied Prof. Christoph Broeckmann, stellt sich unter anderem der Herausforderung, Gusseisen perfekt an den Einsatz in Windkraftanlagen anzupassen.
Gusseisen mit Kugelgraphit ist ein in der Windenergie fest etablierter Konstruktionswerkstoff. Sowohl die in breitem Maße einstellbaren, mechanischen Eigenschaften als auch die flexible Formgebung machen ihn für unterschiedlichste Bauteile mit individuellen Werkstoffanforderungen attraktiv. Vor dem Hintergrund der kontinuierlichen Weiterentwicklung von Windenergieanlagen sieht der Werkstoff sich jedoch mit vielseitigen Herausforderungen konfrontiert, für die es in der Zukunft gilt innovative Lösungen zu entwickeln.
Strukturkomponenten aus Gusseisen
Pro Megawatt installierter Anlagenleistung werden heutzutage etwa 20 t Gusseisen verbaut [1], die sich maßgeblich bei den Strukturbauteilen innerhalb der Gondel wiederfinden. Klassische Vertreter sind beispielsweise Rotornabe und –welle, Lagergehäuse, Maschinenträger sowie Drehmomentstütze und Planetenträger im Hauptgetriebe. Die derzeit regulär zum Einsatz kommenden Gusseisengüten können grob in duktilere (z.B. GJS-400-18LT) und in weniger duktile aber hochfeste Güten (z.B. GJS-700-2) unterteilt werden [2]. Abbildung 1 zeigt exemplarisch das Gefüge letzterer, deren Festigkeit auf einer rein perlitischen Matrix beruht.
Abbildung 1: Lichtmikroskopische Aufnahme des Gefüges von GJS-700-2 - perlitische Matrix mit darin eingebettetem Kugelgraphit
Bruchmechanischer Nachweis bei Gussbauteilen
Die konventionellen Bauteilanforderungen, Duktilität und Festigkeit, begründen sich maßgeblich in den für Windenergieanlagen charakteristischen Beanspruchungskollektiven. Diese zeichnen sich durch eine größtenteils moderate Beanspruchung mit einzelnen, extremen Überlasten aus. Hinzu kommt eine standortabhängige Forderung nach Kaltzähigkeit, die bei den hochfesten Güten zumeist nicht garantiert werden kann. In diesem Falle muss bei der Auslegung oft ein bruchmechanischer Nachweis zusätzlich zum regulären Betriebsfestigkeitsnachweis erbracht werden [3].
Dieser kommt auch bei Ungänzen im Werkstoffgefüge zum Tragen, die fertigungsbedingt nie vollständig ausgeschlossen werden können. Speziell für den Einsatzbereich der Windenergie wurde in einem Arbeitskreis des VDMA - gemeinsam von Industrievertretern und dem IWM der RWTH Aachen - die Richtlinie 23902 [3] erarbeitet. Sie stellt einen Leitfaden bei der bruchmechanischen Bewertung von hochfesten Gussbauteilen dar und fasst die charakteristischen Randbedingungen zusammen. Derzeit ist eine Erweiterung dieser hinsichtlich der elastisch-plastischen Bruchmechanik in Arbeit, sodass die Anwendbarkeit auf duktilere Gusseisengüten uneingeschränkt möglich sein wird.
Herausforderungen bei der Konstruktion mit Gusseisen
Dem Vorteil der Gestaltungsfreiheit beim Gießprozess stehen folglich auch Herausforderungen bei der Konstruktion mit Gusseisen gegenüber. Beispielsweise resultieren die lokal variierenden Abkühlbedingungen bei großvolumigen Gussbauteilen in ausgeprägten Eigenschaftsgradienten über dem Bauteilquerschnitt. Der internationale Wettbewerb – auch gegenüber anderen regenerativen Energiequellen – fördert den zu beobachtenden Trend zu höheren Leistungsklassen [4], was in einer kontinuierlichen Vergrößerung von Anlagen und darin verbauten Komponenten resultiert. Das ansteigende Gewicht der Gussstrukturkomponenten bringt dabei fertigungstechnische und logistische Probleme mit sich, sodass Bauteiloptimierung und Leichtbau zunehmend in den Fokus rücken.
Aufgaben der Zukunft
Den skizzierten Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft können sich einerseits neuere Gusseisengüten annehmen, die es gilt für den Anwendungsbereich der Windenergie zu qualifizieren. Beispielsweise untersucht das IWM der RWTH Aachen in einem öffentlich geförderten Projekt das Potential hochsiliziumlegierter, mischkristallverfestigender Gusseisengüten, die die Windenergie zunehmend für sich entdeckt. Andererseits bedarf es vor allem auch innovativer und werkstoffspezifischer Auslegungskonzepte, die das Potential des Gusseisens – unter Berücksichtigung seiner Besonderheiten – vollständig erschließen. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Anwendern, Herstellern und Forschungsstellen zur Entwicklung kreativer Problemlösungen ist dabei besonders zielführend und effektiv. Dies bestätigt sich in den verschiedenen Forschungsprojekten zu Gusseisen, die am IWM der RWTH Aachen stets in enger Kooperation mit der Industrie durchgeführt werden und sich zumeist mit aktuellen Fragestellungen dieser auseinandersetzten.
Referenzen
[1] Bundesverband der Deutschen Gießerei-Industrie: Die Gießerei-Industrie. Eine starke Branche in Zahlen. URL: http://www.bdguss.de/fileadmin/content_bdguss/BDG-Service/Infothek/Broschueren/BDG_EinestarkeBranche.pdf. Abrufdatum 29.02.2016.
[2] VDMA 23901: Komponenten und Systeme für Windenergieanlagen in kalter Umgebung (2015). Berlin.
[3] VDMA 23902: Leitlinie für den bruchmechanischen Nachweis von Planetenträgern aus EN-GJS-700-2 für Getriebe von Windenergieanlagen 21.200 (2014). Berlin.
[4] Frauenhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik: Anlagenzubau nach Leistungsklasse (1990-2015). URL: http://windmonitor.iwes.fraunhofer.de/windmonitor_de/3_Onshore/2_technik/2_leistungsklasse/. Abrufdatum 29.02.2016.