Ein einmaliges Ereignis
Die Lindauer Nobelpreistagung 2018
Zum 68. Mal fand im Juni dieses Jahres die Lindauer Nobelpreistagung am Bodensee statt. Für drei Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler des JARA-BRAIN Institut: Brain structure function relationships war mit der Tagung eine besondere Ehre verbunden. Dr. Arnim Gaebler, Dr. Sina Radke und Lisa Wagels wurden als Vertreter aus Jülich und Aachen für die Teilnahme an der Tagung ausgewählt. Damit waren sie Teil der 600 Vertreterinnen und Vertreter des wissenschaftlichen Nachwuchses aus 84 Herkunftsländern.
Seine Eindrücke von der Nobelpreisträgertagung hat Dr. Arnim Gaebler in einem Interview erzählt:
Interview mit Dr. Arnim Gaebler, Assistenzarzt in der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik des Universitätsklinikums RWTH Aachen, über das Nobelpreisträgertreffen in Lindau 2018.
Sie waren auf der Nobelpreisträgertagung am Bodensee. Welche Vorträge sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?
Dr. Arnim Gaebler: „Sehr fasziniert hat mich beispielsweise Robert Lefkovits, der in 2012 den Nobelpreis für Chemie erhalten hat. Sein Forschungsfeld sind G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Dabei handelt es sich um Rezeptoren in der Zellmembran, die Signale über G-Proteine in das Zellinnere weiterleiten. Unter anderem dienen sie als Zielstrukturen für die Wirkung von Hormonen und Neurotransmittern. Damit stellen sie die Angriffsorte für eine Vielzahl der in der Medizin verwendeten Medikamente dar, was für mich als Kliniker natürlich sehr relevant ist. Viele Medikamente aus unserem Fach greifen in das Dopamin- und Serotoninsystem ein und die Rezeptoren dieser beiden Neurotransmitter sind eben G-Protein-gekoppelte Rezeptoren. Herr Lefkovits stellte in seinem Vortrag interessante Ansätze für die Entwicklung neuer Medikamente dar, die nur einen bestimmten von mehreren möglichen Signaltransduktionswegen am Rezeptor begünstigen (funktionelle Selektivität) oder an einer anderen Bindungs-stelle wirken (allosterische Modulatoren). Im persönlichen Gespräch hat er mir die Namen von zwei Forschern genannt, die in den USA an der Entwicklung solcher Wirkstoffe für psychiatrische Erkrankungen arbeiten.“
Sie sind zurzeit als Assistenzarzt in der Psychiatrie und gleichzeitig in der Forschung tätig. Was sind Ihre Schwerpunkte?
Dr. Arnim Gaebler: „Einer meiner Forschungsschwerpunkte sind schizophrene Erkrankungen. Um diese zu erforschen, nutze ich Bildgebungsverfahren wie die Magnetresonanztomographie. Ziel ist es, Unter-schiede in den Hirnaktivitäten von erkrankten und gesunden Menschen festzustellen und diese Ergebnisse dann zu nutzen, um möglicherweise die Diagnose zu objektivieren oder biologisch definierte Untergruppen dieser Erkrankung zu definieren. Änderungen der Hirnaktivität bei Schizophrenie-Patienten im Vergleich zu psychisch gesunden Menschen finden sich beispielsweise bei der frühen Verarbeitung auditiver Stimuli, also von Tönen. Hier interessiere ich mich für basale Prozesse, die auf Ebene der Hörrinde noch vor der Bewusstwerdung stattfinden. Solche Prozesse eignen sich als potentielle diagnostische Biomarker, da man weniger auf die Mitarbeit des Patienten angewiesen ist. Genau dieser Aspekt macht nämlich viele andere Tests problematisch, weil die Ergebnisse durch mangelnde Kooperation oder Aufmerksamkeitsdefizite verzerrt werden.“
Schizophrenie-Patienten reagieren anders auf auditive Signale als Gesunde?
Dr. Arnim Gaebler: „Ja. Für meine Promotion habe ich untersucht, wie sich die Reaktion von Schizophrenie-Patienten auf Abweichungen bei auditiven Stimuli unterscheiden. Bei dem Verfahren wird ein Ton ständig wiederholt und zwischendurch kommt dann ein Ton, der anders ist. Das Gehirn registriert die Ton-Änderung, noch bevor die Person diese bemerkt. Das entsprechende Signal im Gehirn lässt sich im EEG, aber auch in der funktionellen Magnetresonanztomographie darstellen. Beim Vergleich zwischen Gesunden und Erkrankten konnte nun festgestellt werden, dass die Stärke (Amplitude) dieses Signals im Gehirn von Schizophrenie-Patienten deutlich reduziert ist. Hiermit verbunden war im Rahmen meiner Promotion unter anderem die Frage, welche Hirnnetzwerke neben der Hörrinde an der Entstehung dieses Signals beteiligt sind beziehungsweise nachfolgend rekrutiert werden. Es zeigte sich, dass die Detektion der Tonänderung mit einer Reihe von Aktivitätsänderungen in unterschiedlichen Netzwerken verbunden ist, welche allesamt in der Schizophrenie gestört sind. Weiterhin konnten wir Veränderungen in der Kopplung einzelner Areale dieser Netzwerke miteinander feststellen, die mittels Verfahren der künstlichen Intelligenz schließlich auch die Diagnose (Schizophrenie oder gesunder Proband) mit vielversprechender Genauigkeit vorhersagen konnten. Insbesondere handelte es sich um Netzwerke, die für Kernsymptome der Schizophrenie verantwortlich gemacht werden, darunter auch manche Symptome (zum Beispiel kognitive Defizite), die sich leider bisher nicht mit Medikamenten behandeln lassen.“
Lässt sich daraus schließen, dass es gut ist, wenn Schizophrene ihr Gehör trainieren und eventuell ein Instrument lernen?
Dr. Arnim Gaebler: „Es gibt Hinweise, dass auditives Training etwas bringt. Daher sind Ansätze in der Entwicklung, welche ermöglichen sollen, die sensorische Verarbeitung und damit kognitive Funktionen mittels Training beispielsweise am Computer zu verbessern. Aber hierzu gibt es nur wenige Daten. Tendenziell zeigen Musiker ‚gesündere‘ Muster in der Aktivität der auditiven Netzwerke. Auf der Tagung habe ich übrigens unter den Nachwuchsforschern Kollegen getroffen, die an ähnlichen Themen arbeiten; diese werde ich wiedertreffen.“
Neben den wissenschaftlichen Vorträgen gab es auch Diskussionsrunden zur Arbeitssituation von Forschern im Allgemeinen. Worüber wurde da gesprochen?
Dr. Arnim Gaebler: „Ein Thema war der Publikationsprozess. Kritisch diskutiert wurde beispielsweise die Bedeutung des Impact-Faktors von wissenschaftlichen Zeitschriften für die Bewertung von Forschern. Zudem wurde gefordert, Forschungsergebnisse der Allgemeinheit im Sinne von Open Access-Publikationen kostenlos zur Verfügung zu stellen. Zudem wurde die Nutzung von Preprint-Veröffentlichungen propagiert: Formate, in denen Forscher ihre Ergebnisse während des oft langwierigen Review-Prozesses der Fachzeitschriften bereits vorab zugänglich machen können, um damit schneller auf ihre Forschung aufmerksam machen beziehungsweise entsprechendes Wissen verbreiten zu können. Ein weiterer Ratschlag lautete, in den eigenen Lebenslauf immer einen Absatz einzufügen, der sämtliche Forschungsergebnisse zusammenfasst. Dieses ist laut Ansicht der Experten aussagekräftiger als die ausschließliche Verwendung einer Publikationsliste, bei der typischerweise die Namen der Fachzeitschriften beziehungsweise deren Impact-Faktor im Fokus der Aufmerksamkeit stehen.
Ich finde, das ist eine gute Idee, die ich für mich auch übernehmen werde.“
Sie sind zurzeit Assistenzarzt. Was sind Ihre Perspektiven für die nächste Zukunft?
Dr. Arnim Gaebler: „Ich strebe eine Forschungsrotation an, das heißt, ich werde von der Arbeit mit Patienten für eine gewisse Zeit in eine reine Forschungstätigkeit an der Uniklinik wechseln. Anschließend möchte ich meinen Facharzt in Psychiatrie machen. Perspektivisch hätte ich am liebsten eine Stelle, an der ich beides kombinieren und sowohl forschen als auch mit Patienten arbeiten kann. Der Bezug zur Praxis ist wichtig, denn durch den Kontakt zu den Patienten gewinnt man einen besseren Überblick darüber, was für diese wirklich relevant ist.“
Haben Sie noch ein Fazit für Ihre Teilnahme an der Nobelpreisträgertagung?
Dr. Arnim Gaebler: „Das war die beste Konferenz, auf der ich je war. Es herrschte eine sehr freundliche Atmosphäre und alle waren hochmotiviert – Nachwuchsforscher, Organisatoren und Nobelpreisträger. Auch das Umfeld stimmte: Lindau ist eine schöne kleine Stadt und überall auf der Straße sah man Wissenschaftler stehen, die über Forschung diskutierten. Es war ein einmaliges Ereignis.“