Wie die Darmflora auf unseren Organismus wirkt
Projekt MIGBAN untersucht die Darm-Gehirn Interaktion
Wenn die Nahrungsaufnahme zum täglichen Kampf wird, das Körpergewicht durch ständiges Hungern immer mehr schwindet und das Leben keinen anderen Inhalt als die Sorge um Gewichtszunahme kennt, ist meist Anorexia Nervosa der Grund. Vor allem junge Mädchen und Frauen sind von Magersucht betroffen. Trotz ausgiebiger Forschung und unterschiedlicher Therapieansätze, ist eine vollständige Genesung der Patientinnen und Patienten häufig nicht möglich. Um die Krankheit und ihre Mechanismen besser zu verstehen, untersucht seit 2019 ein europäisches Forscherteam die Interaktion von Darm und Gehirn sowie den Einfluss auf eine mögliche Magersuchterkrankung.
Das zweite Gehirn
Entscheidungen werden schon einmal „aus dem Bauch heraus“ gefällt. Obwohl in der Bauchhöhle hauptsächlich Organe, die der Nahrungsverwertung dienen, zu finden sind, werden diesem Bereich des Körpers dennoch „denkende“-Fähigkeiten zugesprochen. Auch Prof. Beate Herpertz-Dahlmann, Mitglied von JARA-BRAIN, beschäftigt sich mit der Frage, ob der Darm mit dem Gehirn interagiert. In dem Projekt „MIGBAN - Interaktion zwischen Darm-Mikrobiom und Gehirn bei Anorexia Nervosa“ untersucht die Wissenschaftlerin gemeinsam mit einem europäischen Expertenteam, wie sich Darmbakterien, deren Konzentration und Zusammensetzung möglicherweise auf die Entwicklung einer Anorexia Nervosa, einer Magersuchterkrankung, auswirken können.
Vorangegangene Untersuchungen unterschiedlicher Wissenschaftler* haben bereits gezeigt, dass die Darmflora signifikante Auswirkungen auf unseren Körper und unser Wohlbefinden hat. In unserem Verdauungstrakt ist eine Mischung aus 500 verschiedenen Bakterien zu finden, die gemeinsam für die Aufspaltung und Verdauung unserer Nahrung sorgen. Doch so einfach ist es nicht, denn die Zusammensetzung der einzelnen Bakterien und deren jeweilige Konzentration ist ausschlaggebend für unseren Stoffwechsel.
So zeigte eine erste Studie, dass Anorexia Nervosa Patienten Veränderungen des Darmmikrobioms aufweisen. Die Vielfalt der Bakterienstämme ist deutlich reduziert, dafür ist der Anteil an Bakterien, die Entzündungen hervorrufen und die Darmschleimhaut beschädigen erhöht. Ähnliche Beobachtungen wurden auch in Test mit fettleibigen Mäusen verzeichnet. Auch hier ist die Darmflora verändert. Wurde die Darmflora fettleibiger Mäuse auf keimfreie Mäuse übertragen, entwickelten diese ebenfalls Übergewicht.
Auch die psychische Gesundheit wird durch unsere Darmflora beeinflusst. Studien, ebenfalls am Tiermodell, legen nahe, dass ein Zusammenhang zwischen dem Mikrobiom und depressiver Stimmung beziehungsweise Angstzuständen besteht.
Chance für Magersuchtpatienten
Das Projekt MIGBAN nimmt Magersuchtpatienten in den Fokus und eröffnet Chancen für neue Therapien. Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die ERA-NET NEURON, untersucht ein europäisches Konsortium im Speziellen die Verbindungen zwischen Darmmikrobiom und Anorexia Nervosa. Hierzu werden Patientinnen, die an Anorexia Nervosa leiden, über einen längeren Zeitraum untersucht. Untersuchungsgrundlage sind Blut- und Stuhlproben der Patientinnen, sowie Verhaltenstests und Magnetresonanzuntersuchungen. Die Analyse der unterschiedlichen Proben soll zeigen, inwiefern die Zusammensetzung der Darmbakterienkolonien die Entwicklung einer Magersucht unterstützt. Darüber hinaus soll geklärt werden, inwiefern sich die Krankheitsdauer auf das Mikrobiom auswirkt. Zudem analysiert die Beobachtungsstudie die positiven Auswirkungen von Omega-3 Fettsäuren auf Mikrobiom, Gewicht, Gehirn und Krankheitsverlauf der Magersuchtpatienten. Parallel kommt das weiterentwickelte aktivitätsbasierte Tier- Anorexie-Modell (ABA) zum Einsatz.
MIGBAN - Interaktion zwischen Darm-Mikrobiom und Gehirn bei Anorexia Nervosa
Das Projekt umfasst zwei Forschungsgruppen aus Deutschland sowie jeweils eine Gruppe aus den Niederlanden, Österreich und Frankreich. Das Universitätsklinikum Aachen trägt maßgeblich zur Patientenstudie sowie zum Tiermodell bei und koordiniert das Verbundprojekt. Die Christian-Albrechts-Universität zu Kiel führt federführend die Mikrobiomanalysen durch. Das Projekt ist von 2019 bis 2022 angesetzt
Weitere Informationen zum Projekt stehen auf der Website des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Verfügung.
Website ERA-NET NEURON
Im RWTH Themenheft, Ausgabe 02/2019, berichtet Prof. Herpertz-Dahlmann von ihrer Arbeit. Weitere Details zur Studie sind auch hierin, auf Seite 72ff, nachzulesen. Das Heft ist online abrufbar.
* Verweis: „Alle in diesem Dokument verwendeten Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen. Auf eine Nennung verschiedener Varianten der Bezeichnungen wird allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichtet.“