„Erwachsenwerden ist nicht immer einfach“
Interview mit der JARA BRAIN-Wissenschaftlerin Prof. Dr. Beate Herpertz-Dahlmann
Seelische Erkrankungen zählen zu den häufigsten Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Dies spiegelt sich auch in den Betreuungszahlen der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kinder- und Jugendalters der Uniklinik RWTH Aachen wider. In den vergangenen Jahren stieg hier die Patienten-Zahl über 70 Prozent an. Aus diesem Grund erweitert die Klinik ihre Räumlichkeiten. JARA-BRAIN Wissenschaftlerin und Klinikdirektorin Prof. Beate Herpertz-Dahlmann erläutert im Gespräch die neuen Angebote in der Kinder- und Jugendpsychiatrie.
Wie erklären Sie sich den drastischen Anstieg an hilfsbedürftigen Kindern und Jugendlichen?
Herpertz-Dahlmann: Wir wissen nicht, ob es tatsächlich mehr hilfsbedürftige Kinder und Jugendliche gibt als früher; wir wissen nur, dass Eltern und Kinder mehr Hilfe suchen. Viele Kinder und Jugendliche sind einsam. Die Zahl der Kinder, die nur mit einem Elternteil aufwachsen, ist deutlich gestiegen. Viele erleben einen erheblichen Leistungsdruck in der Schule, viele haben Mobbing-Erfahrung im Alltag oder über die sozialen Medien.
Welche Krankheitsbilder treten vermehrt auf?
Herpertz-Dahlmann: Auch hier wissen wir zum Teil nicht, ob sie wirklich vermehrt auftreten oder sich Eltern und Kinder mehr an uns wenden. Relativ sicher ist, dass Störungen des Sozialverhaltens, sogenannte Verhaltensstörungen, Selbstmordversuche und selbstverletzendes Verhalten zunehmen. Auch Essstörungen bei Kindern und Jugendlichen werden mehr.
Um die gestiegenen Betreuungsanforderungen bewältigen zu können, erhält Ihre Klinik einen Neubau. Wie werden Sie die neuen Räumlichkeiten nutzen?
Herpertz-Dahlmann: Im Neubau eröffnen wir unter anderem eine Eltern-Kind-Station. Hier können Eltern mit Kleinkindern, die z.B. an Autismus, ADHS oder Essstörungen leiden, zusammen stationär aufgenommen werden. Außerdem freuen wir uns, dass schwer kranke und gefährdete Jugendliche, die bisher aus Platzgründen teilweise in der Erwachsenenpsychiatrie untergebracht werden mussten, im Neubau einen eigenen, geschützten stationären Bereich erhalten. Die Stationen werden alle sehr hell und wohnlich sein, so dass sich unsere jungen Patientinnen und Patienten wohlfühlen werden. Es wird Spiel- und Gruppenräume, gemeinsame Koch- und Essbereiche sowie Platz für Theatergruppen, Beschäftigungstherapien und vieles mehr geben.
Erweitern Sie neben den stationären Angeboten auch die ambulante und tagesklinische Betreuung?
Herpertz-Dahlmann: Das ist ein gutes Stichwort – ja. Unsere Institutsambulanz wird ebenfalls in den Neubau einziehen, der übrigens energetisch und von den verwendeten Baumaterialien vorbildlich nach Passivhausstandard erstellt wird. An unserem bisherigen Standort „Gut Neuenhof“ - direkt gegenüber vom Neubau gelegen – wird eine Psychotherapiestation einziehen, in der wir unter anderem essgestörte Jugendliche tagesklinisch behandeln. Diese Art der ambulanten Versorgung hat sich unlängst in einer großen Studie, die wir auch bei Lancet veröffentlicht haben, als besonders therapiefördernd erwiesen. Die jungen Patientinnen und Patienten sind nur tagsüber bei uns und kehren am Abend in ihr häusliches Umfeld zurück.
Wann wird der Neubau fertiggestellt sein?
Herpertz-Dahlmann: im Frühjahr 2016 – falls es keine Bauüberraschungen geben wird!
Bild: JARA-BRAIN Wissenschaftlerin Prof. Dr. Beate Herpertz-Dahlmann ist Direktorin der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters (Foto: Uniklinik RWTH Aachen)